Am Morgen ist fast alles ganz normal. Karbacher kann sich ohne Schwierigkeiten aus dem Bett erheben, die Toilette aufsuchen, seine Zähne putzen und sich nach dem Ankleiden an den Frühstückstisch setzen. Er kann lächeln, Kaffee trinken und essen. Auch das Räuspern macht ihm keine Probleme. Nur reden kann er nicht. Einmal muss er mit dem Finger auf die Kaffeekanne deuten und ein wenig stöhnen, statt wie üblich seine Frau zu bitten, ihm die Kaffeekanne zu reichen. Seine Frau versteht auch so, was Karbacher will.
Wenn ich die leere Tasse meine, muss ich ein leeres Wort verwenden, fällt Karbacher ein. Für die gefüllte Kaffeekanne hingegen braucht es ein volles Wort.
Dich hat's ja ordentlich erwischt, stellt Frau Karbacher in einem Tonfall fest, der vorwurfsvoll klingt.

Draußen in der Welt hat sich während der Urlaubstage am Steppensee mit den Kellergassen sehr viel getan. Für den Lauf der Welt bedeutsame Menschen haben bedeutsame, ja richtungweisende Worte gesprochen. In der Zeitung wird davon geschrieben. Karbacher versteht nicht alles. Das hat nichts mit seiner Sprachlosigkeit, sondern mit dem Urlaub zu tun. Alle bedeutsamen Ereignisse und Worte der vergangenen zwei Wochen haben sich ereignet, ohne auf Karbacher die geringste Wirkung auszuüben. Schuld daran ist das billige Zweibettzimmer in der Frühstückspension. Nein. Schuld ist die Pensionsbesitzerin, die zwar einen Fernsehapparat aufgestellt, sich aber nicht um eine passende Antenne bemüht hat. Statt Abendnachrichten Rauschen. Statt Spätabendnachrichten Rauschen. Auch nach Einführen eines aus Draht gebogenen Kleiderbügels in die Anschlussbuchse des Antennenkabels nichts als Rauschen. Zum Glück stecken die siebzehn Zeitungen der vergangenen siebzehn Tage im Stapel Post, den Frau Karbacher vom Postamt geholt hat.
Zeitungen rauschen nicht.

Stell dir vor, was der gesagt hat, sagt Karbacher zu seiner Frau, doch nur ein leises Stöhnen kommt aus seinem Mund.
Was ist los? fragt Frau Karbacher.
Karbacher deutet auf den Artikel und reicht seiner Frau die Zeitung.
Und nachher gehen wir zum Doktor, stellt Frau Karbacher fest, noch ehe sie zu lesen begonnen hat.

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Rabenangst

Edition Atelier, Wien
140 Seiten, geb. mit Schutzumschlag, ISBN 3-902498-08-0
16,- EURO